Aktuelle Betrachtungen zu Indien
Nach den Corona-Wirren war es mir im Sommer 2022 endlich wieder möglich, sechs Wochen in Indien zu verbringen. Wie immer stark fachlich orientiert. Auch wenn das Gesehene und Erlebte nicht ausreicht, eine fundierte Meinung abzugeben, sei es mir nach 15 mehrmonatigen Aufenthalten (seit 1982) in diesem Lande doch gestattet, die merkbaren Fortschritte in eine materiell bessere Zukunft zu erwähnen. Im Vergleich zu China scheint alles kühler, langsamer und nicht so überhitzt zu geschehen. Außerdem ist Indien erfreulicherweise nach wie vor durchtränkt von Spiritualität! Das wird ein interessantes Rennen: Neoliberaler (?) – von einer Elitepartei gelenkter – Kapitalismus gegen wirtschaftliche Kapitalismus-Überlebenstechniken, die mit spiritueller Erfahrung von Jahrtausenden angereichert sind.
Dank einer großzügigen Spende meiner Schüler war es mir im Februar 2023 möglich, drei Wochen im Imperial Hotel in Delhi zu verbringen. Ein bemerkenswertes Erlebnis! Jeden Tag zwei Stunden Training (morgens und abends) und weitere fünf bis sechs Stunden Schreiben am Buch. Man sieht, ich lag nicht nur auf der faulen Haut.
Auch dieser Aufenthalt bestätigte den Eindruck von 2022. Während wir in Europa am Rockzipfel der USA hängend und blöde grinsend in den Untergang gleiten, scheint Indien förmlich zu explodieren! Go East, young man (and young woman)!
Diese Veränderungen haben sicher auch mit Premierminister Narendra Modi zu tun, einem gläubigen Hindu, der bei uns eine schlechte Presse hat, was meist ein Hinweis darauf ist, dass jemand sehr viel weiterbringt, nämlich mehr als wir. Die Inder, mit denen ich sprach, bezeichneten ihn als nicht korrupt (in Indien vielleicht ungewöhnlich) und als weit in die Zukunft planend. Während wir in Österreich den Sozialstaat sinnlos weiter aufblasen, investieren die Inder (gleich wie die Chinesen) in ihre Infrastruktur. Bekanntlich sind indische Leistungen in der Informationstechnologie international gefragt. Die Inder haben mit ihrer Herangehensweise, ähnlich wie die Chinesen, in den vergangenen 20 Jahren etwa 300 Millionen Menschen in den Mittelstand katapultiert. In dieser Weltgegend scheint sich Leistung also noch zu lohnen! Bei uns in Europa und in den USA hingegen schrumpft der Mittelstand seit Jahren. Womit das wohl zusammenhängen könnte?
Damit wir uns recht verstehen: Ich liebe Österreich, es ist meine Heimat! Das hat aber mehr mit Mozart, Grillparzer und Klimt zu tun als mit ÖVP, SPÖ und den Grünen.
Am 12. Juni 2023 gab es im Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft in Wien eine Veranstaltung der Außenwirtschaft Austria (WKO) mit dem Titel „Forum Indien – Riesenprojekte im Boomland“. In mehreren Vorträgen wurden die Visionen dargelegt, wie man beabsichtigt, in den kommenden 25 Jahren das indische Volk und die indische Wirtschaft in eine weltweite Spitzenposition zu katapultieren.
China feiert im Jahr 2049 das 100-jährige Bestehen der Volksrepublik, Indien im Jahr 2047 das 100-jährige Bestehen der Unabhängigkeit als größte Demokratie der Welt. China hat bereits bewiesen, dass man in wenigen Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen aus tiefster Armut in den Mittelstand heben kann, wenn man ihnen die Möglichkeit zur Entfaltung bietet. Ich nehme an, dass Indien vorhat, nach einem vergleichbaren Muster vorzugehen. Natürlich sind die möglichen Gefahren für die Umwelt und für die Seelen der Menschen in Betracht zu ziehen. Andererseits wollen nun auch die Bewohner Indiens, Chinas und anderer aufstrebender Länder zum Zug kommen. Das wird man ihnen nicht verwehren können.
In China und Indien explodiert der Mittelstand, in den USA und in Europa schrumpft er. Doch nicht nur das, auch die Spiritualität leidet seit Jahrzehnten! Wir haben es also wohl mit viel Aufwand geschafft, fast alles falsch zu machen. Wo wollen wir 2047 oder 2049 sein?